Selbstportät, 2024
Rachel Bühlmanns Bilder zeugen von Größenwahn, Mutprobe, Wagnis, Risiko, Kitzel. Sie zähmt den Brutalismus. Abrissgeweihte Zeugnisse einer megalomanen Bauperiode, die in den letzten Jahrzehnten als menschenfeindlich, kriminalisierend und randständig wahrgenommen und diffamiert wurden, lässt sie in ihren Bilder wieder so erscheinen wie sie einst erdacht worden waren – als Behausungen moderner Menschen, als betongewordene Zukunftsvisionen, als architektonische Umsetzungen utopischer Gesellschaftsmodelle. Bühlmann setzt sich aus, überwindet Hindernisse, um ihren Objekten vollständig und so nah wie möglich begegnen und sie in Gänze wahrnehmen zu können. Dafür kann sie ein Langzeitvorgehen als notwendig erachten und geht dieses dann mit einer Konsequenz an, die alleine schon Respekt abnötigte, gäbe es nicht diese opulenten Ergebnisse.
Rachel Bühlmann erschafft ihre eigenen Bilderwelten, die dem reiferen Auge wie in Technicolor erscheinen, diesem leicht antiquierten Farbverständnis der ganz großen Kinoleinwand des vergangenen Jahrhunderts – und doch haftet ihren Bildern weder Verstaubtes an, noch verwendet sie falsifizierende Filter übermächtiger Kommunikationsplattformen. Vielmehr entspricht dieses Farbspektrum zielgenau ihren Sujets und deren Verortung in Zeit und Raum. Sie versteht Übertreibung als Annäherung und verherrlicht so das Unmögliche, welches existiert und sich nicht abschaffen lässt. Ihre Herangehensweise überblendet beispielsweise klassische Landschaftsfotografie mit subtiler Gesellschaftskritik, wenn die Wolkenformationen in einem abendgerötetem Bergpanorama nicht am Himmel entstehen, sondern dem Kühlturm eines Kernkraftwerks entspringen.
Auch wenn sie die analoge Arbeitsweise bevorzugt und von der Pike auf gelernt hat, so mischt sich in ihrem Werk doch digitale und analoge Fotografie. Für Bühlmann bedeutet die Entscheidung für die eine oder die andere Technik immer auch die Entscheidung für einen bestimmten Arbeitsprozess, Fertigungsgeschwindigkeit und Zeitwahrnehmung. Zum Handwerk gesellten sich akademisch-medienkünstlerische Abschlüsse der UdK Berlin und der FH Nordwestschweiz, die ihr Arbeitsverständnis vom bestmöglichen Bildergebnis erheblich erweiterten. Ein analoges Bild kann, nein, es muß reifen – oder gären, wie sie es selbst nennt. Etliche Fehler können nicht sofort während der Aufnahmesitzung erkannt und behoben werden, und auch später gibt es in der analogen Fotoarbeit mannigfaltige Möglichkeiten, das Bild zu verderben. Es steht länger und strenger auf dem Prüfstand bis der endgültige Abzug fertig ist – oder verworfen wird.
Will Rachel Bühlmann die totale Weltbewahrung? Fragen Sie sie selbst!
Xenia Helms, Kulturvermittlerin und Produzentin mit Schwerpunkt Auditive Künste